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Erster Blick ins Manuskript

Berge

Träume sind wie Seifenblasen -
wenn man aufwacht zerplatzt die Erinnerung an den Traum wie eine Seifenblase.

Prolog: Die Sage von der Jungfrau am Drachenfels Unter den Bergen des Siebengebirges hebt sich der Drachenfels mit seinen Ruinen am kühnsten am Rhein empor. In uralten Zeiten, so erzählt die Sage, lag hier in einer Höhle ein Drache, dem die heidnischen Bewohner der Gegend Verehrung erwiesen und Menschenopfer darbrachten. Gewöhnlich wurden dazu Leute ausgewählt, die im Krieg gefangen worden waren. Unter ihnen befand sich einst eine Jungfrau, die sich bereits zum Christentum bekannt hatte. Sie war von hoher Schönheit, und zwei Anführer stritten sich um ihren Besitz. Da entschieden die Ältesten, dass sie dem Drachen geopfert werde, damit keine Zwietracht unter den Häuptern des Volkes entstehe. In weißem Gewand, einen Blumenkranz im Haar, wurde die Jungfrau den Berg hinaufgeführt und in der Nähe der Felsenhöhle, worin der Lindwurm lag, an einen Baum gebunden. Viel Volk hatte sich in einiger Entfernung versammelt, um dem Schauspiel zuzusehen; aber es waren wenige, die das Los der Armen nicht vom Herzen bedauerten. Die Jungfrau stand ruhig da und schaute mit frommer Ergebung zum Himmel auf. Eben stieg die Sonne hinter den Bergen hervor und warf ihre ersten Strahlen an den Eingang der Höhle. Bald kroch das geflügelte Untier heraus und eilte nach der Stätte, wo es seinen Raub zu finden gewohnt war.   Die Jungfrau erschrak nicht, sie zog vielmehr ein Kreuz mit dem Bilde des Erlösers aus ihrem Gewande hervor und hielt es dem Drachen entgegen. Dieser bebte zurück und stürzte mit fürchterlichem Gezische und Dröhnen in den nahen Abgrund. Man hat ihn niemals mehr gesehen. Da eilte das Volk, aufs tiefste ergriffen von dem Wunder, zur Jungfrau hin, löste ihre Bande und sah mit Erstaunen das kleine Kreuz an. Die Jungfrau aber erklärte ihnen die Bedeutung des heiligen Zeichens, und alle fielen zur Erde und baten sie, zu den Ihrigen zurückzukehren und ihnen einen Priester zu schicken, der sie unterweisen und taufen möge. So kam das Christentum in die Gegend des Siebengebirges, und bei der Drachenhöhle wurde eine Kapelle erbaut. * 1. Kapitel Die Wolken werden immer dunkler und scheinen fast das Wasser zu berühren. Die Beiden hetzen über den Strand. Die Wellen der Ostsee sind dunkelgrau. Die Wellenkämme heben sich umso mehr in ihrem Weiß davon ab. Das Laufen ist nicht so einfach in dem feinen Sand des Usedomer Strand. Immer wieder rutscht Emi weg oder sinkt ein. Timmy läuft vor ihr und für die Hunde ist es ein großer Spaß so schnell zu laufen. Sie sind fast nicht mehr zu sehen. Da knickt Emi um und fällt. Der pudrige Sand federt den Sturz ab. Aber durch den Knöchel geht ein spitzer Schmerz. „Aua!“ jammert Emi auf und hält sich das Fußgelenk. Sofort dreht sich Timmy um und kommt zurück. „Was ist passiert?“ „Ich bin umgeknickt. Das tut scheiße weh.“ „Komm, ich nehme Dich huckepack und trage Dich.“ „Ich bin zu schwer. Lass mal, ich komme langsam hinterher.“ „Nichts da. Bis zum Bohlenweg trage ich Dich und gleich dahinter ist das Café Moritz“ Mittlerweile sind auch ihre Hunde Rocky und Babsy zurückgekommen und springen um die Beiden herum. Timmy nimmt Emi auf den Rücken und stakst durch den tiefen Sand. Erste große Tropfen fallen und in kurzer Zeit sind alle vier ziemlich nass. Dann kommen sie beim Café an. Die Hunde schütteln sich kräftig. Dann suchen sie sich ein Plätzchen in einer Ecke. Draußen wird der Regen immer heftiger. „Na, da haben wir nochmal Glück gehabt. Wir sind zwar nass, aber jetzt wären wir durch bis auf die Unterwäsche.“ lacht Timmy. „Tut es noch sehr weh?“ erkundigt er sich fürsorglich. Emi schüttelt den Kopf. „Es geht schon. Danke nochmal.“ „Ich frag mal an der Theke, ob sie einen Eisbeutel haben. Du musst den Knöchel kühlen, sonst schwillt er an.“ „Ach, so schlimm ist es nicht.“ winkt Emi ab. „Aber einen schönen Schokoeisbecher, den hätte ich schon gern.“ „Klar, ich geh schon mal und ich suche mir ein Stück von diesen leckeren Kuchen aus. Bin gleich wieder da.“ Schon verschwindet Timmy. Die Hunde haben es sich unter dem Tisch gemütlich gemacht und schlafen. Emi sieht aus den großen Fenstern. Immer mehr Leute flüchten vor dem Wetter in das warme Café. Jetzt würden sie keinen Platz mehr bekommen. Im Frühjahr kann das Wetter halt immer schnell umschlagen. Eben noch blauer Himmel und dann so ein Wolkenbruch. Wie immer zu Ostern sind sie hier auf der Insel und warten dann sonntags am Strand von Koserow darauf das Vineta erscheint. Diese verwunschene Stadt, die nur ein Sonntagskind mit etwas Kleingeld vom Fluch erlösen kann. Seit 4 Jahren warten sie darauf, dass die Ruinen plötzlich wieder aus dem Meer auferstehen… doch leider auch dieses Jahr kein Wunder. Mit vierzehn hat Emi einen ganzen Sommer auf der Insel mit ihrer Mutter verbracht. Sie denkt gerne daran zurück. Es war aufregend und wunderschön. Viel hat sie in dieser Zeit über Usedom und auch über die Sage um den spektakulären Untergang der verschwenderischen Stadt Vineta erfahren. Und am Ende der Ferien haben sich Timmy und Emi versprochen es jedes Jahr erneut zu versuchen. Doch eigentlich ist die Auferstehung der Stadt egal - wichtig ist die Tradition und dass sie beide - Timmy und Emi - zusammen sind. Vorsichtig balanciert Timmy einen riesigen Schokoeisbecher in der einen Hand und in der anderen ein Stück Friesentorte zu ihrem Tisch. „Oh, sieht der lecker aus!“ ruft Emi und zieht den Becher sofort zu sich heran. „Lass ihn Dir schmecken.“ Lacht Timmy und zaubert noch einen Kühlakku aus der Hosentasche. Vorsichtig legt er Emi‘s Fuß auf den noch freien Stuhl ab und legt den Beutel auf das Gelenk. „Hmm!“ Emi verdreht verzückt die Augen. „Einfach himmlisch.“ „Du Schokoholic“ lacht Timmy. „Ich bleibe hier sitzen bis zu den Sommerferien.“ verkündet Emi euphorisch. Eine Weile löffeln die Beiden schweigend ihre Köstlichkeiten. „Gefällt es Dir in Bonn nicht?“ fragt Timmy zögerlich. Emi lässt sich nach hinten an die Lehne fallen und macht die Augen zu. „Doch schon.“ Sie zögert. „Du wolltest doch unbedingt dort studieren?“ „Schon. Das Studium ist auch interessant…“ Timmy schaut Emi in die Augen. „Aber was?“ Emi seufzt und streicht sich ihre langen Haare aus dem Gesicht. Sie spricht leise. „Irgendwie werde ich nicht warm dort. Du fehlst mir.“ „Du mir doch auch.“ Timmy streicht ihr sacht über den Handrücken. “Ich komme so oft ich kann am Wochenende. Doch es geht leider nicht immer. Es ist ganz schön teuer und manchmal muss ich halt lernen. Das Studium an der Hochschule ist ziemlich herausfordernd. Gleichzeitig bin ich froh, dass mich die Macromedia überhaupt genommen hat. Und dann noch der Nebenjob.“ Timmy wischt sich übers Gesicht. Die Trennung macht auch ihm zu schaffen. Bonn - Berlin das sind immerhin fast 600 Kilometer. Mit der Bahn ist er über 5 Stunden unterwegs. Das wussten sie beide vorher. Doch Emi wollte unbedingt ihren Master am Institut für Geschichtswissenschaft und dort ganz speziell Mittelalterliche Geschichte studieren und das ging nur in Bonn. „Das weiß ich doch. Ich mache Dir doch auch keine Vorhaltungen.“ Emi schaut nach draußen auf die im Frühlingswind sich auftürmenden Wellen der See. „Der Stoff ist enorm und manchmal komme ich mir vor, als wäre ich eine … Hochstaplerin.“ Timmy guckt überrascht und schüttelt unwillkürlich den Kopf. „Wie kommst Du denn auf diese abstruse Idee?“ „Na, bis alle merken, dass ich gar nicht so gut bin und das alles nicht schaffe. Ich möchte, dass die Klausuren perfekt sind. Ich lerne und lerne und dann ist es doch nur ein befriedigend.“ Emi schaut in ihren mittlerweile leeren Eisbecher. Die Haare verdecken ihre Augen wie ein Vorhang. „Emi. Bitte schau mich an. Emi Du bist toll und ich kenne niemanden, der fleißiger ist und sich mehr für Geschichte interessiert als Du. Eine 3 ist doch kein Weltuntergang. Was meinst Du, wie oft ich schon eine kassiert habe.“ „Aber …“ setzt Emi an. „Kein aber. Du schaffst das. Es muss nicht immer die Bestnote sein. Danach fragt später niemand mehr. Wichtig ist, dass Dir das Studium an sich gefällt.“ „Das auf jeden Fall. Ich hab von einem Erasmusprojekt gehört. Ich könnte sogar, wenn ich halt gut genug bin, für ein Semester an der Partneruniversität in Österreich studieren.“ „Wow. Das hört sich toll an.“ Timmy schluckt. Das wäre noch weiter weg. „Dazu muss ich aber noch besser werden.“ Emi schiebt den Eisbecher weit von sich und massiert sich ihren Knöchel. „Tut es noch sehr weh?“ erkundigt sich Timmy. Emi schüttelt den Kopf. „Nein. Es wird schon. Aber erzähl mal, wie läuft es bei Dir? Hast Du die Statik-Arbeit gepackt?“ „Ich denke schon. Mein Vater ist mit mir nochmal die kniffligsten Berechnungen durchgegangen. Es hilft schon sehr, dass er als Architekt mir vieles direkt an seinen Aufträgen erklären kann.“ „Das stimmt. Willst Du denn nach dem Studium bei ihm dann anfangen zu arbeiten?“ „Das weiß ich noch nicht. Einerseits wäre es bequem und sicher. Gleichzeitig möchte ich auch mal weg. So wie Du. Das ich immer noch zu Hause wohne, nervt mich langsam.“ „Spart aber jede Menge Geld.“ hält Emi dagegen. „Richtig. Und mit dem Geld kann ich zu Dir kommen. Was wollen wir nächstes Wochenende machen?“ Emi zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber sag mal, hast Du von Jonas mal wieder was gehört?“ Sie haben Jonas damals in dem Sommer kennengelernt, als Emi‘s Mutter zur Besserung ihrer Asthmabeschwerden den Klimawechsel brauchte. Jonas war Rettungsschwimmer in Bansin und zusammen haben sie einiges erlebt. Emi nimmt Babsy auf den Schoß und krault ihr durchs Fell. Prompt legt sich die kleine Hundedame auf den Rücken und genießt die Streicheleinheiten. „Vor einer Woche hat sich Jonas per Mail bei mir gemeldet.“ erzählt Timmy. „Er ist jetzt in San Diego und hat dort als DJ angefangen und fiebert seinem ersten Gig entgegen.“ „Oh - typisch Jonas. Ist er bei seinen Freunden untergekommen?“ „Schaut so aus. Er meint, wir könnten sie alle mal besuchen.“ Emi guckt skeptisch. „Wir müssen uns doch erstmal auf unser Studium konzentrieren.“ „Klar, aber vielleicht im Sommer.“ Timmy wundert sich. Sonst war Emi immer so voller Energie. Sie war diejenige, die nie genug kriegen konnte, Abenteuer suchte. Seid sie das Studium begonnen hat, wird sie immer ernster und ruhiger. Er macht sich Sorgen. „Schau mal Timmy.“ ruft Emi euphorisch. „Ein Regenbogen.“ Über dem dunkelgrauen Meer spannt sich ein herrlicher Regenbogen, denn von der Südseite schaut jetzt die Sonne wieder hervor. „Wunderschön. Wollen wir wieder raus?“ „Natürlich. Geht es denn wieder mit dem Fuß?“ Emi ist schon aufgestanden. Sie nickt und greift nach Timmys Hand. „Lass uns nochmal an den Strand, bevor wir morgen wieder nach Hause müssen.“ * Emi wacht mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Sie schaut nach draußen. Das Regenwetter passt zu ihrer Stimmung. Doch sie muss aufstehen. Sie will nochmal ihre Notizen aus den letzten Vorlesungen durchgehen. Heute ist wieder eine Klausur dran. Es graut ihr. Eigentlich kann sie alles, doch wenn sie dann vor dem leeren Blatt Papier sitzt, hat sie das Gefühl, das ihr Gehirn wie leergefegt ist. Panik steigt langsam auf. Zu den Kopfschmerzen kommt noch eine Übelkeit, die vom Magen her immer höher steigt. Sie schüttelt den Kopf. Das kann ich nicht gebrauchen, denkt Emi. Energisch schwingt sie die Beine aus dem Bett. Doch das ist keine gute Idee. Jetzt wird ihr auch noch schwindlig. Ganz vorsichtig steht Emi auf. Eine Tasse Kaffee, ja, das bringt den Kreislauf in Schwung, überlegt sie. Eigentlich mag sie das bittere Getränk nicht so sehr. Sie trinkt lieber Tee. Aber sie hat die Erfahrung gemacht, dass der Kaffee sie auf Trapp bringt. So schleicht Emi barfuß in die gemeinsame WG-Küche. Dort steht an die Heizung gelehnt Sophie und schlürft aus einer großen Tasse. Es duftet nach frischen Kaffee. „Hi Emi. Du siehst ja leichenblass aus. Ganz weiß. Du könntest glatt mit der Wand konkurrieren. Aber wenn ich diese so betrachte … ich glaube Du gewinnst.“ „Sehr witzig. Mir ist nicht so gut. Hast Du noch einen Kaffee für mich?“ „Na klar. Aber setz Dich lieber hin.“ Sophie dreht sich schwungvoll um. Ihre rote lange Mähne fliegt. Mit diesen Haaren ist sie überall der Hingucker. Die Locken reichen ihr bis zur Hüfte. Sie ist ein wirklich hübsches Mädchen mit tausend lustigen Sommersprossen. Ein angeborenes verkürztes Bein lässt sie etwas humpeln. Doch das tut ihrer Schönheit natürlich keinen Abbruch. Immer gut gelaunt, ist sie ein echter Sonnenschein. Sie gießt Emi eine große Tasse mit der Aufschrift - Morgenmuffel - bis zum Rand voll ein. „Hier meine Süße. Was hast Du denn?“ erkundigt sich Sophie. „Ich weiß auch nicht.“ Emi zieht die Beine an und wärmt sich die Hände an der Tasse. Einerseits tut ihr die liebevolle Frage von Sophie sehr gut, andererseits mag sie gar nicht reden. Als Emi nach Bonn gezogen ist, war die WG mit Sophie der totale Glücksgriff. Eine Wohnung alleine wäre viel zu teuer gewesen und Sophie ist eine quirlige, lebenslustige Studentin und die Wohnung in der Altstadt von Bonn wunderbar gelegen. Jeder hat ein kleines Zimmer für sich, dann die gemeinsame große Küche, ein zugegebenermaßen winziges Badezimmer und ein etwas größerer Raum, welcher ihr gemeinsames Wohnzimmer ist. Das Highlight ist jedoch die Dachterrasse. Nur 8 qm, aber man kann über die Dächer hinweg sogar die Türme des Bonner Münster sehen. Da es ein unsanierter Altbau ist, ist es momentan bei dem Regenwetter ziemlich kalt. Emi versteckt die nackten Füße unter ihrem Po. „Nun rück mal mit der Sprache raus.“ „Mir ist morgens oft schwindlig und heute ist es besonders schlimm.“ „Bist Du etwa schwanger?“ Emi verschluckt sich fast. „Nein! Wie kommst Du auf die Idee.“ ruft sie ungehalten aus. „Ich hab Klausur. Das schlägt mir immer auf den Magen.“ „Ist ja gut. War nur eine Frage. Sei nicht gleich beleidigt.“ Emi macht die Augen zu. Ihr ist im Moment alles Zuviel. Am liebsten würde sie sich wieder ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen. Doch aufgeben ist keine Option. Wie sagt ihr Vater immer. ‚Was Du angefangen hast, musst Du auch zu Ende machen!‘ „Wollen wir Samstag mal wieder um die Häuser ziehen? Ich hätt echt mal wieder Lust richtig abzufeiern.“ Sophie wird ganz hippelig. „Lass uns ins Carpe gehen oder ins Tiefenrausch. Bitte, bitte …“ Emi schüttelt verneinend den Kopf. „Dieses Wochenende kommt Timmy. Das geht nicht. Er hat schon die Fahrkarte im Spartarif gebucht. Das ist fix und kann nicht umgebucht werden. Außerdem hat er was von einer Überraschung angedeutet.“ Sophie zieht eine Flunsch. „Er kann doch mitkommen.“ schlägt sie halbherzig vor. Sie wäre lieber mit ihrer Freundin zu zweit losgezogen. Zu dritt fühlt sie sich dann wie das sprichwörtliche dritte Rad am Wagen. „Aber das Wochenende drauf, da können wir gern ins Carpe.“ Von der Aufmachung her ist das Carpe gemütlich studentisch gehalten. Und der Reiz des Carpes ist die Unkompliziertheit und Offenheit des Ladens. In einem Säulensaal, welcher in schwarz-rot gehalten ist, befinden sich neben der Tanzfläche, der Bar und diversen Sitzmöglichkeiten drei Kickertische. Der größte Pluspunkt ist aber, dass der Eintritt für Studenten frei ist. Außerdem liegt es nahe des Hauptbahnhofs verkehrstechnisch super. „Das ist ein Wort. Abgemacht. Und keinen Rückzieher - da lass ich nicht mit mir verhandeln.“ „Wie könnte ich. Mit einer angehenden Staatsanwältin lege ich mich nicht an.“ lacht Emi. Sophie studiert an der juristischen Fakultät. Das Bonner Juridicum liegt fußläufig in Innenstadtnähe und ist an mehrere U-Bahn-Linien direkt angebunden. Unmittelbar neben der Fakultät befinden sich außerdem die Mensa und die Zentrale der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. „So gefällst Du mir schon wesentlich besser.“ Freundschaftlich gibt ihr Sophie einen Kuss auf die Wange. „Ich muss los. Bis heute Abend.“ Emi nickt und nimmt sich seufzend ihre Unterlagen vor. Das muss noch unbedingt in ihren Kopf. * Es ist Freitagabend. Emi wartet nun schon über eine Stunde auf dem Bahnhof. Der ICE hat mal wieder Verspätung. Sie möchte einmal erleben, dass der Zug pünktlich ist. Ihr wird allmählich kalt. Eng zieht sie ihre Jacke um sich. Ende April und es will so gar nicht richtig Frühling werden. Dass es auf Bahnhöfen aber auch immer so zugig ist. Die letzte Nachricht von Timmy lautete, dass er wegen Störungen im Betriebsablauf gegen 21:00 Uhr ankommen soll. Inzwischen ist es nun schon Viertel nach neun. Emi trampelt von einem Bein auf das Andere, um sich warm zu halten. Endlich kommt die erlösende Durchsage: „Der ICE 800 aus Berlin Hauptbahnhof fährt in Kürze auf Gleis 3 ein.“ Als der Zug einrollt und zum Stillstand gekommen ist, sieht sich Emi suchend um. Wo ist Timmy? Menschenmassen strömen aus dem Zug. Dieser Zug ist immer proppenvoll. Immer wieder scannt ihr Blick den überfüllten Bahnsteig. Plötzlich umarmt sie jemand von hinten. Sie dreht sich hastig herum und sieht nur einen großen Strauß vor sich. „Timmy! Endlich bist Du da!“ Sie nimmt ihm die Blumen ab. „Die sind aber schön.“ Emi schnuppert an den Tulpen und freut sich. „Blumen für meine Blume.“ Timmy schultert seine Reisetasche. „Das war mal wieder eine Fahrt. Ich dachte schon, ich komme erst um Mitternacht an.“ „Jetzt bist Du ja da.“ Emi hakt sich bei Timmy unter. „Lass uns fix in meine Bude gehen. Ich bin ganz durchgefroren.“ Die Beiden beeilen sich. In der WG angekommen, macht Emi schnell eine Kanne heißen Tee. „Jetzt kann das Wochenende endlich losgehen. Ich bin direkt von der Vorlesung zum Zug. Wie soll eigentlich das Wetter hier werden?“ fragt Timmy. „Soviel ich weiß, zwar kühl, aber sonnig.“ „Perfekt!“ „Wieso?“ Emi kuschelt sich in Timmy‘s Arme. „Weil ich einen Ausflug geplant habe.“ Emi setzt sich wieder auf. „Wohin?“ Sie schaut etwas skeptisch. Timmy hat sich so auf seine Überraschung gefreut. „Hast Du schon mal, was von der Drachenburg gehört?“ „Nein. Ich hatte aber auch noch keine Zeit für touristische Exkursionen. Eigentlich müsste ich auch dieses Wochenende lernen.“ wendet Emi ein. Sie hat keine Lust auf Touri-Touren. „Dieses Wochenende ist mal Pause. Ich verspreche Dir das wird toll. Das Schloss liegt am Drachenfels in Königswinter. Es soll spektakulär sein. Und es ist nicht weit von hier. Wir brauchen nur eine dreiviertel Stunde. Vertrau mir! Die Drachenburg finde ich von der Architektur her spannend und ich dachte, Dich würde vielleicht die Geschichte dazu interessieren.“ Timmy streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei überträgt sich ein winziger Stromschlag. An kalten Tagen bei sehr trockener Luft, können sich die Haare leicht elektrisch aufladen. Doch Timmy lässt sich nichts anmerken, dass er eine gewischt bekommen hat. Alles an Emi ist momentan angespannt. Sogar ihre Haare. Er würde ihr so gerne ein bisschen Leichtigkeit wiedergeben. „Glaub mir doch, es wird schön. Zu Fuß von der Talstation der Drachenfelsbahn führt der sogenannte Eselsweg, vorbei an der Nibelungenhalle und der Vorburg, bis zum Schlosstor.“ „Du hast Dich ja umfassend informiert.“ Emi kuschelt sich wieder an. „Na gut. Überredet.“ * Emi und Timmy sitzen in der Regionalbahn. Sie sind mit der Straßenbahn zum Bahnhof Beuel in Bonn gefahren. Von dort ist es jetzt nicht mehr weit bis Königswinter. Timmy hat einen Reiseführer vor sich und liest Emi vor: „Zu Füßen des Siebengebirges liegt an der östlichen Rheinseite die Stadt Königswinter. Fast surreal schön, geradezu märchenhaft empfängt die Stadt am Rhein seine Besucher mit einer Trilogie aus mystischem Drachenfels, zerklüfteter Burgruine und Schloss Drachenburg. Vom Gipfelplateau erleben Sie einen der schönsten Ausblicke über das Rheintal.“ „Das klingt in der Tat sehr vielversprechend.“ Emi ist versöhnt. Doch ja, sie glaubt jetzt auch, dass ihr eine Pause vom Lernen guttut. Timmy ist in seinem Element und hat noch was Interessantes im Reiseführer gefunden: „Bereits 1882 legte Baron Stephan von Sarter den Grundstein zu einem repräsentativen Wohnsitz: Schloss Drachenburg, einer Mischung aus Villa, Burg und Schloss. Die historische Architektur und prachtvolle Ausstattung des Schlosses fand schon unter Zeitgenossen viele Bewunderer. Sarter bewohnte sein Schloss jedoch nie.“ „Langsam freue ich mich echt darauf.“ meint Emi. Timmy ist erleichtert und erzählt weiter. „Rund um das Schloss soll sich ein weitläufiger Park erstrecken, mit alten Bäumen und prachtvollen Rhododendren.“ Emi fühlt sich seit langem erstmals entspannt. Sie schließt kurz die Augen und genießt die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster der Bahn dringen, obwohl diese ziemlich verschmutzt sind. Plötzlich schreckt sie auf. Sie muss eingenickt sein. Timmy rüttelt sanft an ihrer Schulter. „Wir sind schon da.“ * Viele Wege führen auf den Gipfel des beliebten Berges im Rheinland. Timmy hat den traditionellsten Weg mit der schönsten Aussicht ausgewählt. Das ist der Eselsweg, der von der Bahnstation hinauf zum Drachenfels führt. Am Fuße des Berges warten auch bereits einige Esel. Sie stehen angeleint an der Talstation der Drachenfelsbahn. Emi streichelt sofort eines der grauen gutmütigen Tiere. „Oh, können wir mit einem dieser süßen Grautiere reiten?“ Auf was für Ideen Emi immer kommt. Timmy wundert sich, aber er schaut sich suchend um. Vielleicht kann er was in Erfahrung bringen. Emi kramt derweilen in ihrem Rucksack. Sie hatte doch etwas Obst eingesteckt. Endlich findet sie einen Apfel. Sie reicht vorsichtig auf der flachen Hand dem Esel das Leckerli. Genüsslich verspeist der Esel diesen. Sie klopft dem Tier sacht über den Rücken. Timmy kommt zurück und hebt bedauernd die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hab niemanden gefunden.“ Sie wollen schon weitergehen, da entdeckt Emi im Schatten einen älteren Herrn, der gerade einen kleinen Stand aufbaut. „Fragen wir ihn doch mal.“ schlägt Emi vor. Sie läuft vor und fragt höflich, ob sie einen Esel für den Aufstieg mieten können. „Nein, das geht leider nicht. Die Esel dürfen nur Kinder bis 11 Jahre und maximal 40 Kilogramm hinauftragen.“ erwidert der graubärtige Herr. Umständlich dreht er sich eine Zigarette. Timmy ist auch dazugekommen. „Das ist schade. Aber es ist auch verständlich.“ meint er nun. „Esel sind tolle Tiere. Ich mag sie sehr.“ ergänzt Emi. Der Herr nickt und erklärt: „Esel haben für die Menschen im Siebengebirge seit Jahrhunderten eine wichtige Bedeutung. Mit den Tieren wurden früher die Steine aus den Steinbrüchen zum Verschiffen an den Rhein gebracht. Als die Steinbrüche nach und nach stillgelegt wurden, wurde die mühselige Arbeit für die Esel jedoch nicht weniger: Statt der schweren Steine mussten sie schwere Touristen den Drachenfels hochschleppen. Doch mittlerweile sind die Eseltouren nur noch für Kinder erlaubt. Heute ist der Esel das heimliche Wappentier von Königswinter. In den 80er Jahren wurde an der Promenade der Eselsbrunnen aufgestellt, eine Bronzeplastik, die an die Tradition des Ritts mit dem Esel auf den Drachenfels und zu anderen Zielen im Siebengebirge erinnert.“ Emi und Timmy haben gespannt zugehört. „Das war sehr interessant.“ bedanken sich die Beiden. Doch nun wollen sie endlich mit dem Aufstieg beginnen. Der Anstieg ist recht steil. Emi blickt den Weg hinauf. „Wie lange werden wir wohl brauchen? Was schätzt Du?“ „Ich denke so zweieinhalb Stunden werden wir bestimmt für die sieben Kilometer benötigen.“ mutmaßt Timmy. Sie gehen eine ganze Weile nebeneinander. Emi fasziniert der Ausblick. Nach einer Weile erreichen sie eine Bank und genießen die Aussicht. Der Blick auf das Schloss ist einmalig. „Wunderschön.“ flüstert Emi. „Es ist wie ein Märchenschloss mit Rheinpanorama.“ „Ja. Ich kann mich auch gerade nicht sattsehen.“ bestätigt Timmy. „Könnte es nicht immer so sein?“ Emi’s Blick verdüstert sich von einem Moment auf den Anderen. „Was meinst Du?“ „So unbeschwert.“ „Das können wir doch öfter machen. So einen Ausflug am Wochenende. Du musst es nur zulassen und nicht so streng mit Dir selbst sein.“ „Sicher.“ Emi steht abrupt auf. Was hat sie denn schon wieder, denkt Timmy nur. Manchmal versteht er ihre Stimmungsschwankungen nicht. Sie wandern weiter still bergauf. Dann erreichen sie die Nibelungenhalle. Der Kuppelbau beeindruckt vor allem Timmy. „Das müsste später Jugendstil sein.“ Mit dem Kennerblick eines angehenden Architekten schaut er über die Säulen und Deckenkonstruktionen. Insgesamt sechs Säulen tragen die Kuppel. Auf dem Boden ist eine Darstellung des Kosmos zu sehen. Eine im Zentrum gelegene Erdscheibe wird von einem Hexagramm eingeschlossen. Das Hexagramm besteht aus zwei Dreiecken, Symbolen für Wasser und Feuer und um die Erdscheibe windet sich die 60 Meter lange Schlange. Timmy ist begeistert. Emi bewundert unterdessen die mystisch anmutenden Gemälde. Sie zeigen Motive zu den vier Ringopern Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. Auf einem Ausstellungsschild steht, dass der Kuppelbau zum einhundertsten Geburtstag Richard Wagners im Jahr 1913 errichtet wurde und den zwei bekanntesten Opern gewidmet ist, dem ‚Ring des Nibelungen’ und dem ‚Parzival‘. Andächtig gehen sie durch die Halle. Der Kampf um das Rheingold über den Tod des Drachen bis zur Götterdämmerung wird auf Gemälden, Plastiken und anderen Exponaten als ein ganzer Zyklus dargestellt. In dieser Umgebung taucht Emi in die beiden Ur–Erzählungen aus dem frühen Mittelalter ein. „Gefällt es Dir?“ fragt Timmy. Emi nickt nur andächtig. Sie ist ganz versunken. „Lass uns doch auch noch die Drachenhöhle mit der Drachenskulptur besichtigen.“ schlägt Timmy vor. „Der Drache Fafnir spielt eine wichtige Rolle in der Nibelungenzeit hier in der Gegend. Siegfried hat nämlich, laut der Sage, den Drachen besiegt und sich durch das Bad im Drachenblut unsterblich gemacht. Das ist doch was für Dich?“ „Absolut.“ Sie gehen aus der Halle. Ein halbdunkler Gang führt sie zu einem grünlich schillernden Weiher, an dem ein züngelnder bemooster langer Drachen liegt. Einige Besucher werfen Münzen in den Drachenteich. Auch ein kleines Mädchen wirft einen kupfernen Cent hinein. „Du kannst Dir jetzt was wünschen.“ erklärt ihr der Vater. „Oh ja. Bekomme ich einen großen Eisbecher?“ Das etwa vierjährige Mädchen hüpft aufgeregt neben ihren Eltern vor Freude. „In dem Alter ist die Welt noch so einfach. Keine Schule - keine Probleme.“ seufzt Emi. „Bitte Emi sei doch nicht immer so negativ!“ „Ich bin nicht negativ! Nur realistisch!“ Unwirsch dreht sich Emi um. Langsam nervt Timmy ihre depressive Art. Er wollte doch einen wunderschönen Ausflug mit ihr machen. Und hat noch eine besondere Überraschung. Hoffentlich bessert sich ihre Stimmung. * Der weitere Weg zum Schloss verlief ziemlich schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Sie kommen an der Drachenfelsbahn vorbei. „Mit der Bahn würde ich auch gern mal fahren.“ meint Emi. „Die Bahn fährt hoch bis zum Drachenfelsplateau. Das können wir gern beim nächsten Mal machen. Für heute ist es zu spät. Und ich hab mit Dir noch was anderes vor.“ Timmy lächelt geheimnisvoll. Er ist froh, dass Emi sich wieder gefangen hat und mit ihm redet. „Was denn?“ „Siehst Du die Dame dahinten.“ Er zeigt auf eine Frau, die sich ganz im Stil des 19. Jahrhundert gekleidet hat. Emi schaut ziemlich verwundert. Sie kann sich noch keinen Reim darauf machen. Um die Dame herum stehen bereits weitere Menschen. Als sie sich dazugesellen, werden alle Anwesenden von der Frau in der Mitte herzlich begrüßt. Sie heißt Elisabeth Schleier und lädt sie ein, mehr über das Drachenschloss und den Bauherren zu erfahren und das Gelände zu begehen. Gemeinsam mit Frau Schleier nähern sie sich dem prächtigen Anwesen. Doch ehe die kleine Gruppe das Schloss erblicken kann, geht es über eine Brücke Richtung Einlassgebäude. Von hier sieht man auf den Petersberg, auf den Rhein sowie auf die Landschaft des Siebengebirges. „Ist das toll!“ ruft Emi spontan aus. Das Panorama ist einfach gigantisch. Um zum Schloss zu kommen, müssen sie jetzt erst das Einlassgebäude passieren. Von hier gelangen alle in den herrlichen Park des Schlosses Drachenburg. „Und hab ich Dir Zuviel versprochen?“ fragt Timmy. „Nein. Es ist wirklich wunderschön. Von der Führung hast Du mir gar nichts verraten.“ „Stimmt.“ lächelt Timmy. „Und ich verspreche Dir es kommt noch besser.“ Sie gehen seitlich am Schloss vorbei, von wo sie nochmal einen Blick auf die Zahnradbahn zum Drachenfels werfen können. „Pfingsten können wir doch mit der Bahn ganz nach oben fahren.“ schlägt Timmy vor. „Ja, das ist eine gute Idee. Das machen wir.“ Schließlich kommen sie auf der Vorgartenseite des Schlosses an, von wo sie einen herrlichen Blick auf den Rhein sowie auf das Gebäude haben. Emi‘s Blick wird vor allem von den zwei goldenen Hirschen in den Bann gezogen, die im Abendlicht der tiefstehenden Sonne leuchten. Die Schlossbesichtigung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die herrliche Außenanlage. Die Dame, die sie führt, geht nun mit ihnen nach Innen. Zunächst zur Haupttreppe, die von der Dienerschaft nicht genutzt werden durfte und die einen gewaltigen Eindruck hinterlässt. Dann in das Musikzimmer mit der Orgel und anschließend in die Kunsthalle mit den Glasmalereien. „Wahnsinn.“ „Ich wusste, dass es Dir gefällt.“ Timmy drückt sacht Emi’s Hand. Schließlich geht es über eine Wendeltreppe hoch hinaus. Der Schlossturm bietet einen luftigen Überblick auf das Schloss und das Gelände. Die Sonne geht unter. Alle blicken andächtig auf das Schauspiel. „Die Sonne hat sich verabschiedet und auch ich werde dies jetzt tun. Das wars für heute. Ich hoffe, unser kleiner Rundgang hat Ihnen gefallen.“ Es wird applaudiert und anschließend gehen alle ihre eigenen Wege. Sie stehen auf einmal allein da. „Jetzt kommt die eigentliche Überraschung.“ flüstert Timmy Emi zu. „Was soll denn jetzt noch kommen? Ich bin gerade wunschlos glücklich.“ Timmy nestelt in seiner Hosentasche und zaubert ein kleines Schächtelchen hervor. Er klappt es auf und auf einem Samtbett liegt ein kleiner Ring mit einem funkelnden Stein. Timmy räuspert sich und rauer als sonst klingt seine Stimme. „Willst Du meine Frau werden?“ Emi ist vollkommen konsterniert. Mit allem Möglichen hatte sie gerechnet … aber damit nicht. Sie steht stocksteif da. Timmy schaut sie verliebt an. „Timmy … ich mag Dich unendlich …“ Timmy wird blass. „Du magst mich nur?“ „Nein … Doch ja … ich liebe Dich auch … sehr … aber das ist zu früh!“ ruft sie panisch aus. * Timmy sitzt im Zug zurück nach Berlin. Wenn alles klappt und keine Verspätungen dazukommen, sollte er gegen 23:00 Uhr in Berlin sein. Die Schachtel mit dem Ring liegt wieder in seinem Rucksack. Bleischwer scheint der kleine Karton zu sein. Wie sein Herz. Er schließt die Augen. Um ihn herum leises Gemurmel. Der Schaffner geht durch die Reihen und kontrolliert die Fahrscheine. Timmy hat von der Möglichkeit des Komfort-Check-In Gebrauch gemacht. Damit stört ihn niemand. Er hat keine Lust auf irgendwelche Kommunikation. Deshalb dreht er seinen Kopf auch in Richtung Fenster. Vor seinem inneren Auge läuft die Szene auf dem Drachenschloss immer wieder ab. Er macht Emi mit klopfenden Herzen den Antrag. Auf den Ring hat er lange gespart. „… das ist zu früh …“ hallt es noch in seinen Ohren. Darauf war er nicht gefasst. Sie lehnt seinen Antrag – und damit ihn - ab. Immer noch spürt er, wie seine Knie weich werden und er schluckt und schluckt. „Bitte Timmy … das ist total süß von Dir. Ich liebe Dich wirklich.“ „Und warum dann nicht?“ fragt Timmy kaum hörbar. „Ich sage ja nicht Nein!“ „Ach so, zu früh, heißt nicht Nein?“ „Richtig. Frag mich in ein paar Jahren an dieser Stelle nochmal. Doch jetzt … jetzt kann ich nicht.“ „Was ist in ein paar Jahren anders?“ „Ich … ich …“ stammelt Emi. „Sei doch wenigstens ehrlich und vertröste mich nicht auf irgendwann. Du weißt es doch selbst nicht!“ Timmy würde den Ring am liebsten aus dem Fenster und tief in den Abgrund werfen. „Ich muss erstmal das Studium schaffen. Momentan wächst mir alles über den Kopf. Lass es doch wie es ist. Wir sind zusammen und lieben uns. Das ist das Wichtigste. Aber wir müssen doch nicht heiraten.“ Timmy kam es vor, als ob er wie ein begossener Pudel dastehen würde. Er hatte sich alles so schön vorgestellt und nie damit gerechnet, dass Emi den Antrag ablehnt. Sie macht einen Schritt auf ihn zu und schaut ihn an. Dann nimmt sie ihn in den Arm. Timmy ist immer noch stocksteif. „Bitte, bitte sei mir nicht böse. Es ist kein Nein. Wirklich nicht. Aber ich bin doch erst achtzehn. Lass uns beiden noch ein bisschen Zeit.“ „Ist hier noch frei?“ fragt ein Herr mittleren Alters und reißt Timmy aus seinen Gedanken. Er nickt nur beiläufig. Der Mann verstaut umständlich seinen Koffer auf der vorgesehenen oberen Ablage. Dann setzt er sich und holt seinen Laptop hervor und stellt es vor sich auf das Tischchen. Ein Glück, denkt Timmy, dann hab ich wenigstens meine Ruhe. Die Erinnerungen holen ihn wieder ein. Emi hat abgelehnt und ihn trotzdem umarmt. Meinte sie sollen sich Zeit lassen. Er versteht sie nicht. Für ihn ist alles klar. Er liebt Emi über alles. Schon viele Jahre. Ein Leben ohne sie kann er sich nicht vorstellen. Doch zähneknirschend hat er zugestimmt. Doch wie lange sind ein paar Jahre … Jahre! Timmy wischt sich übers Gesicht. Da fällt ihm Emi’s Ausspruch ein, als sie das kleine Mädchen bei der Drachenhöhle gesehen hat: „In dem Alter ist die Welt noch so einfach. Keine Probleme“ … Warum muss jetzt nur alles immer so kompliziert sein? *

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